Diskussionspapier zum Hochstraßenabriss

Autor: Dr.-Ing. Brode

Die Verkehrsplanung für den Neubau von Halle-Neustadt sah vor, die damals vorhandene Trasse der Mansfelder Straße (F 80, heute B 80) zu belassen und nördlich und südlich davon zwei neue Saalebrücken (oder auch Tunnel) im Zuge von künftigen Stadtkerntangenten zu bauen. Dadurch sollte ein sogenannter „Zweiter Ring“ entstehen, der den inneren Stadtkernring (auf dem Gelände der ehemaligen Wallanlagen) entlastet und von unnötigem Verkehr (Durchgangsverkehr und Verkehr von nicht dem Zentrum zugehörigen Stadtteilen untereinander) freihält. 

Damit hätte auch der Riebeckplatz (damals Thälmannplatz) vor übermäßigen Belastungen geschützt werden können.  

Leider wurde diese Konzeption trotz des Widerstandes der Verkehrsplaner nicht realisiert, weil die bauausführenden Betriebe und ihre Projektbearbeiter vom damaligen Entwurfsbüro des Straßenwesens eine Variante erarbeiteten (und als einen sogenannten „Verbesserungsvorschlag“ einbrachten), die vor allem aus Kostengründen den Bau einer sogenannten Mitteltrasse favorisierte und parallel zum alten Straßenzug in ganz geringem Abstand verlief und die das zu erwartende Verkehrsaufkommen ebenfalls bewältigen sollte und konnte.

Eine Trasse mit 2 x 3 Fahrstreifen (= 6 Fahrstreifen insgesamt) war naturgemäß billiger als zwei Trassen mit je 2 x 2 Fahrstreifen (= 8 Fahrstreifen insgesamt).

Vom staatlichen Auftraggeber, der für den Bau von Halle-Neustadt federführend und zuständig für die Mittelbereitstellung war, wurde daher dieser Variante der Vorzug gegeben und außerdem der Bau einer zweiten und dritten Anbindung auf später (nunmehr bis heute!) verschoben.

Die Auswirkungen dieser Fehlentscheidung sind gegenwärtig noch immer spürbar:

Mit der sogenannten Mitteltrasse wurde fast der gesamte von Westen auf die Stadt Halle zulaufende Verkehr mit dem entstehenden Binnenverkehr zweier anfangs verwaltungsmäßig getrennten Städte und späteren Stadtteile zusammengelegt und eine „Stadtstraße“ geschaffen, deren Verkehrsbelegung die einer durchschnittlichen Autobahn deutlich  übersteigt und außerdem einen großen zusätzlichen Verkehrsstrom direkt zum Riebeckplatz leitet, der bereits vor dem Bau von Halle-Neustadt der am stärksten frequentierte Platz innerhalb der damaligen DDR (einschließlich Ostberlin) war.

Er musste naturgemäß nach Fertigstellung der Mitteltrasse auch schleunigst umgebaut und erweitert werden, wodurch die „gesparten“ Mittel bei weitem wieder ausgegeben wurden.

Dabei war ursprünglich vorgesehen, den von Halle-Neustadt kommenden Straßenzug ebenerdig zum Franckeplatz zu führen und dann von dort über die vorhandene Straße an der Waisenhausmauer mit ihrer starken Steigung den Riebeckplatz zu erreichen, was zu einer erheblichen Umweltbelastung geführt hätte (erhöhter Abgasausstoß, höhere Lärmbelastung, Staugefahr).

Daher wurde der Gedanke zur Diskussion gestellt, durch geschickte Ausnutzung der topographischen Gegebenheiten letzteres zu vermeiden:

Die Idee „Hochstraße“ war geboren.

Sie konnte zwar den grundsätzlichen Fehler in der Planung der städtischen Verkehrsnetzstruktur nicht ausgleichen, führte aber zu bedeutenden verkehrlichen und ökologischen Vorteilen.

So wird die Trassenhöhe über die Saale durch die Schifffahrt bestimmt (und ist daher relativ hoch). Auf einer ähnlichen Höhe liegen Riebeckplatz und die Breitscheid- und die Franckestraße. Verbunden durch die Hochstraße führt das zu den bereits genannten und auch heute noch wirkenden ökologischen Vorteilen: weniger Treibstoffverbrauch (dadurch geringerer Ausstoß klimaschädlicher Gase) und geringere Lärmentwicklung durch Vermeidung des Anhaltens und Wiederanfahrens vor Ampeln für den stärksten Verkehrsstrom.

Unter der in einem großen Abschnitt frei unterquerbaren Hochstraße können sowohl fußläufige Querungen als auch Kreuzungen anderer Verkehrsströme einschließlich der Straßenbahn problemlos erfolgen und eine Vielzahl zentrumsnaher Parkflächen genutzt werden.

Aus städtebaulicher Sicht ist allerdings vor allem der Teil zwischen Franckeplatz und Breitscheidstraße im Stadtbild störend und in der Hauptansicht der Franckeschen Stiftungen hinderlich, wenn eine Einordnung in das Weltkulturerbe beantragt werden soll. Der Neubau der Straßenbahntrasse hat diese Wirkung leider noch verstärkt.

Eine Änderung in diesem Bereich herbeizuführen darf aber nicht zu einer Verschlechterung der ohnehin sehr angespannten innerstädtischen Verkehrsverhältnisse am Ostrand des Zentrums führen, die letztlich für die Funktion des Stadtkerns negative Folgen haben würde (Händler, Gastronomie, Handwerker, Universität, Verwaltungen, Ärzte, Touristen u.s.w.).

Es ist daher notwendig, nach langfristigen verkehrsplanerischen Lösungen zu suchen, die diese Prämissen erfüllen, was infolge der vorstehend angeführten verkehrlichen Vorteile der gegenwärtigen Lösung durchaus schwierig sein wird und auch Eingriffe in bisherige Planungen der Stadt Halle erforderlich machen kann. Ein Umdenken in einigen Bereichen der Verkehrs- und Stadtplanung wird möglicherweise notwendig werden. Die gegenwärtige „Fördermitteldiktatur“ müsste beendet werden.

Die kleine Rückschau auf die Entstehung des heute manchmal als „Städtebauliches Monster“ verschrienen Straßenzug „Hochstraße“ war meines Erachten notwendig, um zu zeigen, welche verkehrsplanerischen Probleme bestehen, um den von der BI angestrebten Rückbau zu erreichen.

Erste Denkanstöße sollen dazu die nachfolgenden Thesen geben:

*     Der beste Ersatz der Hochstraße ist in der Realisierung des ursprünglich bei der Planung von Halle-Neustadt vorgesehenen zweiten Ringes um den Stadtkern zu sehen, wobei die Saalequerungen dabei sowohl als Brücken- als auch als Tunnellösungen erfolgen könnten.

*     Der vorhandene Stadtkernring muss leistungsfähiger gestaltet werden, egal ob im Gegenverkehr oder als zweistreifig ausgestalteter Einrichtungsverkehr. Dabei ist der Verkehr der Zentren von Halle-Neustadt und Halle mit einer plangleichen Trasse nach Überquerung der Saale und ihrer Nebenarme mit einzubinden. Jeglicher stadtkernfremde Verkehr oder Durchgangsverkehr würde entfallen, es gäbe nur noch den Binnenverkehr Halle - Halle-Neustadt, sowie den für die Funktion des Zentrums notwendigen Quell- und Zielverkehr.

Die wenig attraktive Aufspaltung des gegenwärtigen Innenstadtringes im Bereich Robert-Franz-Ring/Ankerstraße/An der Schwemme mit der umständlichen und für ortsunkundige Fahrer schwer begreifbaren Führung des Nord-Süd-Verkehrs sozusagen durch den Hinterhof von Halle sollte rückgängig gemacht werden.(siehe Neubau Klausbrücke!)

Der Glauchaer Platz ist leistungsfähiger zu gestalten.

*     Das Parkraumkonzept ist weiter zu entwickeln. Dazu könnte folgender Gedanke beitragen: Um die zeitliche Ausnutzung der vorhandenen Flächen zu verbessern ist eine kostenlose Nutzung der Straßenbahn innerhalb des Innenstadtringes zu ermöglichen.

*     Um den KOM-Reiseverkehr nicht unnötig auf den inneren Ring zu ziehen, sind möglichst in Bahnhofsnähe Bussteige für Reisebusse einzurichten.(In fast allen Städten ist das so!)

*     Es ist erforderlich, die hier angeführten verkehrsplanerischen Überlegungen durch Machbarkeitsstudien und Kostenschätzungen zu untersetzen und weiterzuentwickeln.

*     Ein Wegfall der Hochstraße ist langfristig nur machbar, wenn bereits heute begonnen wird, die erforderlichen Ersatzflächen bzw. -trassen freizuhalten


                                            Dr.-Ing.Brode                     

 

Ps.: Zur Erläuterung der Ausführungen kann der Verfasser Karten und Pläne bei Bedarf vorlegen. Diese sind auch im Heft 16 „Straßen- und Verkehrsgeschichte deutscher Städte nach 1945“ - erschienen im Kirschbaumverlag Bonn im April 2001 - zum Beispiel auf den Seiten 115, 116 und 121 abgedruckt. Außerdem liegen sie auch (teilweise in Form von Diapositiven) beim Verfasser vor.